Leben und Werk eines Universalgelehrten
Abu Ali Sina (geboren kurz vor 980 in Afschana bei Buchara, Chorasan, gestorben im Juni 1037 in Hamadan, im heutigen Iran), auch bekannt als Ibn Sina – wahrscheinlich über eine Zwischenform wie Aven Zina latinisiert zu Avicenna – war ein persischer Universalgelehrter. Sein umfassendes Wirken umfasste die Rollen eines Arztes, aristotelisch-neuplatonischen Philosophen, Dichters, sunnitisch-hanafitisch gelernten Juristen (Faqīh), Mathematikers, Astronomen, Alchemisten, Musiktheoretikers und Politikers. Er schrieb seine Werke auf Arabisch und Persisch.
Avicenna zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Er führte einen philosophischen Austausch mit dem berühmten Gelehrten al-Bīrūnī. Einige mystische Strömungen des Sufismus griffen später seine philosophischen Werke auf. Darüber hinaus prägte er christliche Vertreter der Scholastik wie Thomas von Aquin und Albertus Magnus. Bis weit ins 16. Jahrhundert galt er als maßgebliche Autorität in Medizin und Philosophie und beeinflusste deren Entwicklung entscheidend.
Zu seinen wichtigsten Werken zählen das Buch der Heilung (Kitāb aš-Šifā’) sowie die fünfbändige Enzyklopädie Kanon der Medizin (Qānūn fī aṭ-Ṭibb). Letzteres systematisierte und erweiterte das gesammelte Wissen und die Tradition der griechischen, römischen und persischen Medizin. Über mehr als fünf Jahrhunderte hinweg zählte dieses Werk zu den international führenden medizinischen Lehrbüchern.
Avicennas Jugend
Die wichtigsten Informationen über das Leben Avicennas stammen aus der Biografie seines Schülers al-Dschuzdschānī, deren erster Teil von Avicenna selbst diktiert wurde. Avicennas Vater, ein ismailitischer Steuereintreiber aus Balch, zog mit der Familie in das Dorf Afschāna bei Buchara. Dort wurde Avicenna geboren. Er wuchs mit Persisch als Muttersprache auf, erlernte aber früh Arabisch und erhielt Unterricht im Koran und in klassischer Literatur. Bereits mit zehn Jahren hatte er den gesamten Koran auswendig gelernt.
Avicenna eignete sich indisches Rechnen und Rechtswissenschaft an. Er studierte unter dem Philosophen an-Nāṭilī Werke von Porphyrios, Euklid und Ptolemäus. Nach dessen Abreise nach Gurgandsch setzte Avicenna seine Studien in Scharia, Logik und Naturwissenschaften autodidaktisch fort. Mit etwa 17 Jahren begann er, sich intensiv mit der Medizin zu beschäftigen und wurde vom Leibarzt al-Qumrī unterrichtet. Er rettete angeblich einen samanidischen Landesherrn. Die Heilkunde selbst bezeichnete er später als „nicht schwierig“. Das Verständnis der Metaphysik des Aristoteles erlangte er erst durch die Schriften Abū Naṣr al-Fārābīs.
Leben und Tod
Avicenna verließ gemeinsam mit seinem Freund und Biografen al-Dschuzdschānī, seinem Bruder sowie zwei sie begleitenden Sklaven – als wandernde Derwische verkleidet – die Stadt Hamadan. Er begab sich nach Isfahan und verfasste während dieser Reise die Abhandlung Über Schicksal und Vorherbestimmung.
Im Jahr 1024 hieß ihn ʿAlā‘ ad-Daula Muhammad am Hof der Kakuyiden willkommen. Dort ernannten ihn die Herrschenden zum Leibarzt und erneut zum nadīm (Hofgelehrten). ʿAlā‘ ad-Daula, bekannt als freigeistiger Herrscher, der sich über religiöse Normen hinwegsetzte, holte sich bei Avicenna auch Rat in wissenschaftlichen und literarischen Fragen. Für ihn verfasste Avicenna eine zusammenfassende Darstellung der Philosophie, bewusst in persischer Volkssprache und nicht in der arabischen Wissenschaftssprache. Diese umfassende Enzyklopädie mit dem Titel Dāneschnāme-ye ʿAlā’ī („Das Buch des Allgemeinwissens für ʿAlā‘ ad-Daula“), kurz auch Dāniš-nāmeh genannt, zählt zu seinen bedeutenden persischsprachigen Werken.
Avicenna begleitete seinen Gönner auch auf anstrengenden Feldzügen. Das strapaziöse Leben sowie – wie einige Quellen andeuten – ein intensives Sexualleben schwächt seine Kräfte zunehmend. In Isfahan beendete er zwei seiner Hauptwerke: den Kanon der Medizin (Qānūn) und das Buch der Heilung (Kitāb aš-Šifā’).
Freunde warnten ihn davor, sich weiter zu verausgaben, und rieten ihm zu einem ruhigeren Leben. Doch Avicenna entgegnete:
„Ich ziehe ein kurzes Leben in Fülle einem langen, entbehrungsreichen Leben vor.“
Während eines Feldzugs gegen Masʿūd I. von Ghazni erkrankte Avicenna im Jahr 1034 an einer schweren Darmerkrankung, die ihn fortan mit schmerzhaften Koliken belastete. Drei Jahre später, im Juni 1037, starb er, unverheiratet und kinderlos, wenige Tage nach einem weiteren Kriegszug mit ʿAlā‘ ad-Daula gegen Hamadan. Man vermutet Ruhr oder Darmkrebs als Todesursache. Es besteht der Verdacht, dass die Verabreichung eines überdosierten Mithridatikums mit Opium durch einen seiner Schüler seinen Tod beschleunigte.
Avicennas Werk
Der Schwerpunkt von Avicennas literarischem Schaffen liegt auf Texten zur Philosophie und Medizin. [1]:S. 17 Von insgesamt 456 ihm zugeschriebenen Werken blieben bis zum Jahr 1999 rund 258 erhalten. [3]:S. 127
Man berichtet, dass Avicenna 21 Hauptwerke und 24 Nebenwerke in den Bereichen Philosophie, Medizin, Theologie, Geometrie, Astronomie und anderen Wissensgebieten vollendete. Andere Autoren schreiben ihm insgesamt 99 Werke zu, darunter 16 über Medizin, 68 über Theologie und Metaphysik, 11 über Astronomie und 4 zum Thema Drama. Den Großteil dieser Werke verfasste er auf Arabisch. Dennoch schrieb Avicenna auch auf Persisch bedeutende Texte, etwa die philosophische Enzyklopädie Dāneschnāme-ye ʿAlā’ī sowie eine kurze Abhandlung über den Puls, die er ʿAlā‘ ad-Daula Muḥammad von Isfahan widmete. [3]:S. 117
Die unterschiedlichen Angaben zur Zahl seiner Werke erklären sich dadurch, dass bereits kurz nach seinem Tod zahlreiche Schriften unter seinem Namen überliefert wurden. Einige dieser Texte stammen zwar aus seinem Umfeld und enthalten Elemente seiner Lehre, schrieben jedoch unterschiedliche Autoren. Die ursprüngliche Werkeliste in seiner Biografie umfasste etwa 40 Titel, doch mit der Ausweitung des Textkorpus unter seinem Namen wuchs die Anzahl auf über 200 Werke an. [1]:S. 15 f.
Ein unvollendetes Werk Avicennas behandelt die Grammatik der arabischen Sprache und trägt den Titel Die Sprache der Araber (Lughat al-ʿArab). [1]:S. 18
Unter dem Titel Salamān und Absāl existieren zwei unterschiedliche Erzählungen, die mit Avicennas Namen in Verbindung gebracht werden. Ḥunain ibn Isḥāq soll eine Version aus dem Griechischen übersetzt haben; später nutzte der Dichter Dschāmī denselben Titel für sein gleichnamiges Epos. Darüber hinaus verfasste Avicenna eine allegorische Erzählung mit dem Titel Die Vögel (Ṭayr). Man schreibt ihm auch verschiedene Gedichte zu. [3]:S. 80–82, 85–88
Etwa ein Jahrhundert nach seinem Tod gelangten Avicennas Werke – zunächst durch Übersetzungen – in den lateinischsprachigen Diskurs des Abendlandes. Ab dem 14. Jahrhundert war der Kanon der Medizin bekanntermaßen ein fester Bestandteil des medizinischen Unterrichts in Europa. Papst Clemens V. ordnete beispielsweise an, dass die Universitäten Montpellier Schriften von Galen und Avicenna in der Ausbildung verwenden sollten. Die ersten gedruckten Übersetzungen seiner Werke entstanden im 15. und 16. Jahrhundert.
Schlusswort
Wir von der Sorient Travel, spezialisiert auf Iranreisen, möchten Ihnen mit unseren Artikeln die Komplexität und die Schönheit dieser Traditionen näherbringen.