Ramadan ist weit mehr als eine Periode der Enthaltsamkeit von Essen und Trinken. Er repräsentiert den neunten und heiligsten Monat im islamischen Mondkalender und ist für Muslime weltweit die Zeit der größten spirituellen Konzentration. Das Fasten (Saum oder Siyam) im Ramadan ist die dritte der fünf Säulen des Islam und somit eine zutiefst verankerte Pflicht (Fard) auch im Iran. In diesem Monat gedenkt die muslimische Gemeinschaft der Herabsendung des Heiligen Buches, des Korans, an den Propheten Muhammad.
Iran: Die Theologie und der spirituelle Zweck des Ramadan
Das Fundament des Fastens ist der Koranvers, der den Gläubigen das Fasten vorschreibt, „damit ihr gottesfürchtig werdet“ (Sure 2:183). Der zentrale theologische Begriff ist Taqwa (Gottesfurcht, Frömmigkeit, Achtsamkeit). Das Fasten im Ramadan dient mehreren spirituellen Zielen:
- Entwicklung der Selbstbeherrschung (Imsak): Durch den bewussten Verzicht auf Grundbedürfnisse üben Muslime im Iran, ihre Triebe und weltlichen Gelüste zu kontrollieren. Der Fokus liegt darauf, nicht nur den Magen, sondern auch die Zunge, die Augen und die Ohren zu fasten – sie verzichten also auf Lügen, Klatsch, üble Nachrede und alle sündhaften Handlungen. Dies ist die innere Dimension des Fastens.
- Gottesnähe und Dankbarkeit: Der Ramadan ist eine Zeit der verstärkten Gottesdienste (’Ibadat), in der Muslime mehr Zeit mit Gebet, Koranlesung und spiritueller Reflexion verbringen. Das gemeinsame Fastenbrechen am Abend und die Mahlzeit vor der Morgendämmerung schaffen ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für Gottes Segen und Gaben, die die Gläubigen im Alltag oft als selbstverständlich hinnehmen.
- Soziale Empathie (Solidarität): Durch das Erleben von Hunger und Durst erfahren die Fastenden hautnah, was Arme und Bedürftige dauerhaft empfinden. Diese Erfahrung fördert die Solidarität und die Wohltätigkeit (Sadaqa), die Muslime im Iran im Ramadan besonders hoch bewerten.
Die strengen Regeln des täglichen Fastens im Iran
Die tägliche Fastenzeit erstreckt sich von der Morgendämmerung (Fadschr) bis zum Sonnenuntergang (Maghrib).
Die Mahlzeiten im Ramadan im Iran
- Sahur/ Sahari (Mahlzeit vor Sonnenaufgang): Dies ist die letzte Mahlzeit vor dem eigentlichen Beginn des Fastentages. Man legt großen Wert auf eine nahrhafte und sättigende Mahlzeit, um die körperliche Belastung durch das lange Fasten zu erleichtern.
- Iftar/ Eftar (Fastenbrechen nach Sonnenuntergang): Mit dem Aufruf zum Abendgebet brechen die Muslime im Iran das Fasten. Traditionell beginnen sie das Iftar mit einer ungeraden Anzahl an Datteln und einem Schluck Wasser – in Anlehnung an die Sunna des Propheten Muhammad. Danach folgt die festliche Hauptmahlzeit. Das gemeinsame Iftar in der Familie, der Nachbarschaft oder der Moschee stärkt den sozialen Zusammenhalt. Typisch iranische Gerichte wie Zulbiā und Bāmiye (Süßgebäck) sind in dieser Zeit sehr beliebt.
Ausnahmen und Kompensation des Fastens im Iran
Das Fastengebot ist eine Erleichterung Gottes und darf die Gesundheit nicht gefährden. Ausgenommen vom Fasten im Iran sind:
- Kranke: Personen mit akuten oder chronischen Krankheiten, bei denen Fasten gesundheitlich bedenklich ist.
- Reisende: Personen, die sich auf einer längeren Reise befinden.
- Kinder: Jungen und Mädchen vor Erreichen der Pubertät.
- Schwangere und Stillende: Frauen während der Menstruation oder der Wochenbettzeit.
- Ältere und Arbeiter: Sehr alte Menschen oder solche, die körperlich extrem schwere Arbeit verrichten und das Fasten nicht ertragen können.
In den meisten Fällen müssen die Gläubigen die versäumten Fastentage später nachholen (Qada). Wer dauerhaft nicht fasten kann (z. B. wegen Alter oder unheilbarer Krankheit), muss für jeden nicht gefasteten Tag eine Ersatzleistung (Fidya) erbringen, was meist die Speisung eines Armen bedeutet. Wer das Fasten vorsätzlich bricht, muss eine Sühneleistung (Kaffara) von 60 nachgefasteten Tagen erbringen.
Die spirituellen Höhepunkte und das Ende des Ramadan im Iran
Neben dem täglichen Fasten finden im Ramadan zusätzliche spirituelle Praktiken statt:
- Tarawih-Gebete: Spezielle, längere Nachtgebete verrichten die Gläubigen jeden Abend in den Moscheen, bei denen sie den Koran oft vollständig rezitieren.
- Die Nächte der Bestimmung (Lailat al-Qadr): Die letzten zehn Nächte des Ramadan sind besonders heilig, da in einer dieser ungeraden Nächte die erste Offenbarung des Korans stattfand. Die Gläubigen verbringen diese Nächte mit intensivem Gebet und suchen die Vergebung. Im Iran ist die Teilnahme an den Qadr-Nächten in Schreinen und Moscheen besonders ausgeprägt.
Eid al-Fitr im Iran: Das Fest der Belohnung
Den Abschluss des Ramadan feiern die Muslime mit einem der wichtigsten islamischen Feste: Eid al-Fitr (persisch: Eid-e Fitr), das Fest des Fastenbrechens. Es markiert das Ende der Entbehrung und den Beginn des Monats Schawwal. Das Fest dauert, je nach Region, ein bis drei Tage.
Die Pflichtabgabe (Zakat al-Fitr)
Die Zakat al-Fitr ist eine obligatorische Almosenabgabe, die die Gläubigen vor dem Festgebet entrichten müssen. Sie dient der symbolischen Reinigung des Fastenden von kleinen Fehlern und sorgt dafür, dass auch die ärmsten Mitglieder der Gemeinschaft am Festtag mitfeiern und sich festliche Kleidung und Essen leisten können. Die Höhe berechnet sich nach dem Wert einer Mahlzeit oder der Menge an Grundnahrungsmitteln pro Familienmitglied.
Die Feierlichkeiten und Bräuche
- Rituelle Vorbereitung: Der Festtag beginnt mit der rituellen Ganzkörperreinigung (Ghusl) und dem Anlegen der besten oder neuen Kleidung.
- Gemeinschaftsgebet: Das Festgebet (Salat al-Eid) hält man in großen Versammlungen in Moscheen oder auf öffentlichen Plätzen ab.
- Familienzusammenkünfte und Versöhnung: Das Eid al-Fitr ist ein tief soziales Ereignis. Familien besuchen einander, insbesondere die Ältesten, und es ist Brauch, dass zerstrittene Personen Versöhnung suchen. Die Gläubigen wünschen einander „Eid Mubārak“ (Gesegnetes Fest). Im Iran ist der Besuch der älteren Verwandten ein zentraler Brauch.
- Das „Zuckerfest“: Insbesondere in der Türkei, aber auch in anderen Regionen, nennen die Menschen das Fest das Zuckerfest, da sie Kinder großzügig mit Süßigkeiten, Gebäck und Geldgeschenken beschenken. Das Eid al-Fitr ist somit nicht nur das Ende des Ramadan, sondern die feierliche Manifestation des Erfolgs des Monats – ein spirituell gereinigter Anfang, der von Barmherzigkeit, Großzügigkeit und tiefem Familiensinn geprägt ist. Die Erfahrung des Ramadan soll die Muslime das ganze Jahr über in ihrem Handeln leiten und zu besseren Menschen machen.
Schlusswort
Die Sorient Travel verfasst Artikel über den Iran, damit Sie dieses faszinierende Land kulturell kennenlernen können.